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Vivian Perković – Moderatorin des 3Sat Kulturmagazins meets Bubblemum Society

by Julia

Es geht um die Textilindustrie, leider der zweitgrößte Umweltsünder der Welt, die Ölindustrie schafft es auf den 1. Platz. Der CO2 Ausstoß ist erschreckend hoch, die Mengen Wasser, die bei der Produktion eines einfachen T-Shirts aus Baumwolle benötigt werden, kaum vorstellbar. Von den Arbeitsbedingungen, unter denen Näherinnen in der 3. Welt produzieren sollen, ganz zu schweigen. Der Albtraum von Rana Plaza im April 2013, als ein ganzer Fabrikkomplex einstürzte, rüttelte viele Menschen auf, aber weiterhin stellt sich die Frage, wie solche Katastrophen verhindert werden sollen. Oder wie eine faire Entlohnung und ökologische Bedingungen geschaffen werden können. Die derzeit gängigste Antwort sind Regeln, Gesetze und damit verbunden Zertifikate, die nur diejenigen erhalten, die entsprechend umweltschonend agieren und Standards einhalten. Welche Standards, ist zertifikatsabhängig und genau dieses Thema wollte Vivian mit uns genauer unter die Lupe nehmen.

VP: Oft, wenn von Siegeln und Zertifikaten von Kleidung geschrieben wird, gibt es Klagen, dass es viel zu viele davon gibt und es sehr unübersichtlich ist. Und außerdem existieren für die verschiedenen Materialien wie Baumwolle, Leder, Wolle, Viskose verschiedene Siegel. Wenn jemand aber nicht erst recherchieren will, auf welche Siegel kann ich mich verlassen?

BMS: Eines der aus unserer Sicht verlässlichen Siegel ist das GOTS Siegel, das steht für global organic textile standard und bewertet die komplette Wertschöpfungskette. Auf hohem internationalem Niveau definiert es umwelttechnische Anforderungen entlang der gesamten textilen Produktionskette und fordert gleichzeitig die Einhaltung von Sozialkriterien. Um GOTS – zertifiziert zu werden, müssen Produkte aus mindestens 70 % biologisch erzeugten Naturfasern bestehen. Der Nachteil, das Siegel ist teuer und daher für kleine Firmen oft nicht finanzierbar.

https://www.global-standard.org/de/der-standard.html

VP: Wenn ich ein Siegel finde, das mir neu ist: Was gibt es für Kriterien, anhand derer ich beurteilen kann, ob das Siegel gut funktioniert?

BMS: Möglichst weitreichende Kriterien sind wichtig. Das neue Siegel „grüner Knopf“ beinhaltet beispielsweise 46 Sozial- und Umweltkriterien. Von Abwassergrenzwerten bis hin zu fairen Arbeitsbedingungen und dem Zwangsarbeiterverbot sind viele wichtige Punkte vereint. Das war die Intention dieses staatlichen Siegels. Eine gute. Aber auch hier gibt es Nachteile: Die unzähligen Produktionsstufen sind sehr schwer zu kontrollieren. Die ersten Phasen, wie den Rohstoffanbau umfasst das Label bislang nicht. Es ist umstritten, ob der geforderte Mindestlohn nicht zu knapp ist. Unternehmen, die in der EU produzieren, müssen für die Zertifizierung keine Nachweise über die Einhaltung sozialer Kriterien erbringen. Aber das erachten Kritiker, für Produktionsländer wie Bulgarien oder Rumänien, für notwendig. Zu guter Letzt ist das Siegel ein freiwilliges – kein Unternehmen muss sich dem Zertifizierungsprozess unterziehen.

 VP: Wie orientierst Du Dich da im Alltag?

BMS: Verzicht hilft leider noch am nachhaltigsten. Wir haben uns von Fast Fashion abgewandt und ebenso von fast Shopping, denn Spontankäufe biegen meist die Gefahr, etwas zu kaufen, das man nicht braucht, oder zu günstig ist, um fair produziert zu sein. Weniger ist jetzt definitiv mehr für uns und die Auswahl an regional oder fair produzierten Brands ist, auch gerade im Kidsbereich, extrem gestiegen. Wir haben hier viele Marken vorgestellt, von denen wir sicher sein können, dass sie höchste Standards einhalten. Und dazu kaufen wir 2nd Hand, um die Langlebigkeit von Kleidungsstücken zu unterstützen.

VP: Was ist von den Initiativen der großen Textil-Ketten zu halten, wie zum Beispiel ACT von H&M, Inditex und Primark? Ist das so scheinheilig wie vegane Burger bei Fast Food Ketten oder ein guter Ansatz? Diese großen Labels haben auch versprochen, nachhaltige Baumwolle zu verwenden und bis 2025 bzw. 2030 komplett nachhaltig zu produzieren. Wie bewertest Du das?

BMS: ACT steht für Action, Collaboration, Transformation. In erster Linie geht es darum Näher*innen in den gängigen Billiglohnländern besser, zu bezahlen und Tarifverträge abzuschließen. Das ist schwierig, da nicht die Händler/Marken die Arbeitskräfte entlohnen und ihnen auch nicht die Fabriken gehören. Da müssen die landeseigenen Regierungen und die Fabrikbesitzer mitziehen. Wenn ich es richtig verstanden haben, soll es neue Verträge geben, die die Unternehmen berechtigen, ein Mitspracherecht in Sachen Entlohnung auszuüben. Eine gute Idee, bislang in der Testphase.

Es gibt darüber hinaus viele Brands, die versprechen in 5 bis 10 Jahren nachhaltig zu produzieren, die Frage ist, ob dann auch keine immensen Überschüsse mehr produziert werden, wer bezahlt für mehr Aufwand, wenn es nicht der Endverbraucher am Verkaufspreis spüren soll. Und wie stehen Fast Fashion Unternehmen dazu, die im Monatsrhythmus den Markt mit Billigwaren überfluten?

VP: Gerade für kleine Labels ist es aber möglicherweise teuer, ihre Produkte zertifizieren zu lassen. Was können diese Labels tun?

BMS: Die meisten kleineren Labels arbeiten dafür sehr transparent, der Verbraucher kann einfach ersehen, wo und wie produziert wurde. Viele dieser Firmen produzieren in Portugal, oder direkt regional, wie zum Beispiel Petit Cochon, die mit ihrem Atelier in Berlin situiert sind.

VP: Gerade wieder Fashion Week in Berlin. Es gibt mit Neonyt sogar eine eigene Messe für nachhaltige Mode, auf der auch einige der Siegel-Initiativen einen Stand haben. Was gehen von dieser Messe für Impulse aus?

BMS: Überhaupt ist die Existenz einer nachhaltigen Modemesse ein sehr guter und wichtiger Impuls und schlecht besucht war sie auch nicht. Ich mochte die Atmosphäre dort.

VP: Ein Rat beim Konsum von Lebensmitteln ist, zu versuchen, sie aus der Region zu beziehen, ist das etwas, was Du für den Konsum von Kleidung ebenfalls empfehlen würdest?

BMS: Auf jeden Fall, aber in erster Linie empfehlen möchte ich den Bedarfscheck. Wer sehr genau überlegt, was er sich leistet oder benötigt, kann dann lieber mal ein teureres Teil kaufen, an dem er sich lange erfreut, als fünf günstige, deren Zauber erfahrungsgemäß schneller verfliegt.

VP: Was können Konsumenten tun, damit die Bedingungen, unter denen ihre Kleidung hergestellt wird, menschen- und umweltfreundlicher werden?

BMS: Unsere Nachfrage bestimmt auch das Ausmaß des Angebots, also sollten wir versuchen, nicht von Unternehmen zu kaufen, die keine nachhaltigen Standards einhalten und Tonnen von Waren aufgrund von Überschüssen vernichten müssen. Wer sich noch mehr engagieren möchte, dem seien die Initiativen zum Lieferkettengesetz empfohlen, sie fordern einen gesetzlichen Rahmen, mit dem Unternehmen verpflichtet werden, auch im Ausland Menschenrechte und Umweltstandards zu achten.

https://lieferkettengesetz.de

https://fashionchangers.de/2019/04/23/fairbylaw-diese-petition-fordert-ein-gesetz-das-unternehmen-in-die-pflicht-nimmt/

Am Ende ist es das Bewusstsein in den Köpfen der Verbraucher, was diese Erde noch retten kann. Und das Bewusstsein über die Tragweite unserer einzelnen, vielleicht klein erscheinenden Entscheidungen.

Infotainment:

Siegel soziale und ökologische Kriterien:
GOTS: Global Organic Textile Standard  – Oeko-Tex Made in Green – Fairtrade Textilstandard – Naturtextil IVN zertifiziert BEST

Siegel soziale Kriterien
SA8000

Siegel ökologische Kriterien
Blauer Engel – Bluesign product – Cradle-to-Cradle

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